Die Trachten von Watzenborn-Steinberg
Die bekanntesten hessischen Trachten kommen aus dem Marburger Raum, aus der Schwalm, aus dem Schlitzer Land und aus dem ehemaligen Amt Hüttenberg. Die Trachten aus Watzenborn-Steinberg spielen in Kunst und Literatur keine Rolle, auch wenn sich in ihr eine eigene Variation der Hüttenberger Tracht herausgebildet hat.
Es beginnt mit der Hüttenberger Tracht
Zuerst wurde auch in Watzenborn-Steinberg eine Variante der Hüttenberger Tracht getragen. „Der Hüttenberg“ war ein Amt zwischen Gießen, Wetzlar und Butzbach, eines der reichsten und fruchtbarsten Gebiete Hessens was auch in der Blütezeit der Tracht von 1900-1930 mit kostbaren Bändern aus Samt und Seide zum Ausdruck gebracht wurde. Dies insbesonders bei der Brauttracht, die darin den Hochzeitsschmuck der Mardorfer und Schwälmer Braut übertraf .
Die Tracht war schwarz und streng mit den typischen Bestandteilen: Zwei breite Bänder vor der Brust und einem Häubchen, über den „Schnatz“ auf dem Kopf. Der Schnatz war ein aus geflochtenen Zöpfen gebildeter Dutt oben auf dem Kopf. Darüber wurde das Häubchen oder „Maratz“ gestülpt. Im Gottesdienst wurde über dieses Häubchen eine größere Haube gezogen.
Noch in den 1930er Jahren sollen Frauen in Watzenborn-Steinberg den Schnatz getragen haben, aber um 1900 änderte sich das Erscheinungsbild. Die „Platte“ kam. Mit dem zweiten Weltkrieg endete das Häubchen komplett. Man stülpte sich um (Marburger Stülpchen). Das geschah in vielen hessischen Trachtengebieten bis zum zweiten Weltkrieg.
Schnatzverbot bei der Konfirmation 1878
Nach den Erzählungen von Marie Habermehl (geb. 1891) hatte 1878 der Watzenborn-Steinberger Pfarrer Karl Ernst Theodor Weber ihrer Mutter verboten, mit dem Schnatz zur Konfirmation zu gehen. Sie musste sich die Haare mit einem Mittelscheitel und in Zöpfen um den Kopf legen. Ob das Schnatzverbot hygienische oder religiösen Hintergründe hatte, ist nicht gesichert. Nach der Konfirmation hätten viele wieder den Schnatz getragen, so Marie Habermehl.
Die „platte“ Tracht
Um 1900 begann ein Wandel in der dörflichen Mode Watzenborn-Steinbergs. Die ältere Tracht nach Hüttenberger Vorbild wurde durch die „Platte“ abgelöst.
Nach 1880 setzte sich die neue Frisur mit Mittelscheitel und Zopfkranz durch. Die Trägerinnen nannten sich selbst die „Platten“ und meinten daher den Untersschied zum hohen Hüttenberger Schnatz. Zur neuen Tracht gehört kein Häubchen mehr, nun wurde Kopftuch getragen. Nicht nur die Frisur änderte sich: In der platten Tracht fehlen die großen Bänder. Die platte Tracht bekam mehr Farbe: bunte Schürzen, Schmuckbänder entlang des Schürzensaums, farbige Tücher. Die Röcke waren lang, teilweise bis in die 1920 Jahre fast an die Knöchel. Nach dem ersten Weltkrieg wurden die Röcke kürzer.
Unterkleidung und Zubehör
Das Unterhemd bestand aus weißem Leinen mit Zwickeln in den Ärmeln und kleinen Spitzen am Halsausschnitt. Die weiße Leinenunterhose reichte bis an die Knie und war am Saum mit Spitzen besetzt. Sie war unten offen und wurde mit schmalen weißen Bändern um die Taille gebunden.
Über dem Unterhemd trug man ein Mieder aus dunklem Stoff oder Samt, das mit Nesselstoff gefüttert war. Es wurde entweder vorne zugeknöpft („Knöppleibchen“) oder mit einer bunten Schnur („Schnürleibchen“) geschnürt.
Ein in der Taille angenähter, mit Schafwolle oder Roßhaar gestopfter Wulst gibt den Unter- und den schweren Oberröcken Halt. Leichter Wollstoff. Am unteren Rand wird der Rock innen mit 8 cm breitem hellen Stoff und außen mit einem 4 cm breitem bunten Waschband verziert. Die aus schwarzer Wolle gestrickten Strümpfe wurden von bestickten Strumpfbändern gehalten. Mit hellem Stoff abgefüttert und mit Haken und Ösen versehen. Die schwarzen samtüberzogenen Lederschuhe schmückte eine mit Perlen bestickte Schleife. Schwarzes Leder mit Samt überzogen.
Die Röcke
Die Rockweite beträgt 3,20 Meter. Vorne, wo die Schürze drüberhing, war der Rock auf 30 cm faltenlos. Im Rücken sind die Röcke auf einer Breite von 60 cm in viele kleine Falten gelegt. Am Saum ist eine breite bunte Borte befestigt.
Die Schürze
Die Schürze ist aus dem gleichen Stoff wie der Motzen. Sie wird am Saum in viele enge Falten gelegt. Die Schürzenbänder und der Bund sind mit einer breiten bunten Borte und einem „Kettchen“ aus Pailletten geschmückt.
Das Oberteil „Motzen“
Motzen ist aus Samt oder feiner Seide. Dünn abgefüttert. Das Oberteil der platten Tracht, das sog. Motzen hat im Rücken seitlich schräg verlaufende Teilungsnähte bis auf Höhe der Achseln. Die Nähte sind als Ziernaht abgesteppt. Das Schößchen, „Trollchen“ genannt, ist in mehrere Falten gelegt. Das Vorderteil ist faltenlos schlicht und halsfern geschnitten, Ein weißes dreieckiges Vorstecktuch wird als Kragen so in den Motzen gesteckt, dass der Spitzenrand herausschaut. Die Ärmelkugel ist stark gerafft. Die Ärmel schließen am unteren Saum mit einer breiten farbigen Borte und einem „Kettchen“ aus farbigen Perlen und Stabperlen und weißen gefälteten Spitzen.
Hochzeitskleidung
Die Hüttenberger Brauttracht ist sehr aufwändig:Die Brautkrone aus Perlen etc. Die Watzenborn-Steinberger Brautschmuck war deutlich bescheidener. Der Brauthang ist ein diademartiger Kranz mit zwei Bändern auf dem Rücken. In den Kranz und die Bänder wurden Blumen, Glasperlen, Glasfrüche etc. eingeflochten.
Auf dem Weg zur städtischen Mode: Die „Halblange“
Auch die Trachtenmode änderte sich weiter. Die „Platte“ wurde von der „Halblangen“ abgelöst. Der Name weist auf einen der wesentlichen Unterschiede hin: Die Röcke wurden kürzer. Die Haare erst zu einem Schnatz frisiert, später zu einem Dutt im Nacken gebunden. Diese Phase der Tracht hat einen fließenden Übergang zur städtischen Mode.
Der Rock
Die Shilouette der Halblangen Tracht wurde schmaler und die Röcke weniger schwer, voluminös und unbequem: Die Rockweite betrug in der Halblangen nur noch 2,80 Meter. Vorne waren weiterhin 30 cm unter der Schürze faltenlos, im Rücken waren 50 cm in weiten Falten gelegt. Am Saum der halblangen Tracht gibt es bis zu fünf schmale Seidenbänder.
Die Schürze
Die Schürze ist in mehrere große Falten gelegt. Gibt es auch hier die Borten wie in der platten?
Unter der Schürze: Der Taschensack: Doaschesäck.
Der Motzen:
Der Motzen ist vorne gefältet, man könnte von einem „Faltenmotzen“ sprechen. Es gibt zahlreiche kleine Falten unterhalb der Schulterpasse und zwei große Falten. Das Rückenteil hat zwei senkrechte Teilungsnähte mit einer 4 cm breiten Falte. Das Schößchen hat in der Mitte eine Quetschfalte und seitlich je eine Falte. Der Kragen ist an den Halsausschnitt gesteppt. Das Futter wird separat geknöpft. Die Ärmel sind schlichter und ohne weitere Verzierungen.
Brautschmuck: Der Schleier ersetzt den Brautkranz
Viele Bräute gingen schon 1930 mit einem Schleier zur Hochzeit, statt mit dem traditionellen Brautkranz.